Sprache mit Gedankenspielen fördern – Philosophieren mit Kindern
- von
Robert Jurleta -
Kindliche Sprache entfaltet und entwickelt sich im Austausch mit anderen. Damit diese Formen von Interaktion entstehen können, bietet es sich an, Kinder über Fragen
und Aussagen in den Austausch kommen zu lassen, die für sie von Relevanz sind. Warum darf man sich (nicht) streiten? Was ist ein Freund/eine Freundin? Können Bäume glücklich sein? Als
erwachsene Begleitpersonen können wir sicherlich schnell mit unseren Erklärungen Antworten auf diese Fragen geben, die in vielen Fällen befriedigend für die Kinder sind. Sprachliche
Bildungsmomente gelingen allerdings erst dann, wenn wir den Raum geben, dass Kinder ihre eigenen Gedanken dazu präsentieren können.
Zu den Varianten der alltagsintegrierten sprachlichen Bildung gehört das Philosophieren mit Kindern. Es ist der sprachbildenden Methode des Fragens und Nachfragens zuzuordnen und ein Bestandteil
des sogenannten Sustained Shared Thinking. Das gemeinsame Nachdenken und Sprechen kann dazu dienen, längere Kommunikationssituationen zu ermöglichen und in die Tiefe zu führen. Sprachliche
Interaktionen zwischen Fachkräften und Kindern sind zwar zu 11 % von Fragen gefüllt, allerdings überwiegen hier Benennungsfragen. Offene Fragen, die zum Nachdenken und Sprechen animieren, haben
nur einen verschwindend geringen Anteil daran (Briedigkeit, 2011). Auch neuere Untersuchungen zeigen, dass (kognitiv) herausfordernde Gespräche eher selten sind (Wirts, Wertfein, &
Wildgruber, 2017). Dabei ergeben sich genau hier viele Chancen, Kinder nicht nur in ihrer sprachlichen Entwicklung zu begleiten und zu unterstützen.
Eigene Fragen als Antriebskraft sprachlicher und kognitiver
Entwicklung
Die Bereitschaft, sich mit Themen und Fragen auseinanderzusetzen, ist dann hoch, wenn sie etwas mit dem eigenen Leben und Erleben zu tun haben. Diese Erkenntnis
gilt für Kinder ebenso wie für Erwachsene. Wollen wir also Kinder in ihrer sprachlichen und kognitiven Entwicklung begleiten und fördern, können wir die Fragen der Kinder zurückgeben. Manchmal
reicht schon ein „Was glaubst denn Du, warum …?“, um einerseits Sprache herauszukitzeln und andererseits Denkprozesse in Gang zu setzen.
Können dann noch andere Kinder in diese Gespräche einbezogen werden, entfaltet das gemeinsame Philosophieren weiteres Potenzial. Dadurch nämlich, dass ein Austausch verschiedener Sichtweisen und
möglicher Erklärungen präsentiert wird, entsteht durch den Dialog eine gemeinsame Suche nach Wahrheit. Hier wird gleichermaßen die Offenheit gegenüber anderen Blickwinkeln geübt und Denkprozesse
werden angestoßen, wenn eigene Gedanken erklärt und die Aussagen der anderen überdacht und einbezogen werden. Das Philosophieren mit Kindern zeichnet sich am Ende nicht dadurch aus, wer am
lautesteten eine mögliche Antwort oder seine Sichtweise präsentiert, sondern wie aus einem Nebeneinander von Meinungen eine gemeinsame Erkenntnis entstehen kann.
Uns Pädagoginnen und Pädagogen kommt dabei die Aufgabe des Moderierens zu. Ohne unsere eigene Meinung oder Antwort vorzugeben, können wir durch geschickte Fragen und Nachfragen die Kinder
anregen, ihre Gedanken zu verfeinern. Wir können u. a. mit den Kindern Methoden überlegen, wie sich der Wahrheitsgehalt von verschiedenen Aussagen herausfinden lässt, wer noch befragt werden kann
oder was die Folgen wären, wenn eine Antwort immer gelten würde.
Sprache braucht interessierte Sprecherinnen und Sprecher
Philosophieren mit Kindern gelingt dann, wenn Kinder in einem sprachfreundlichen Setting agieren können. Das bedeutet, dass die Interaktionen am Dialog orientiert
sein sollten, Zeit und Zeitfenster für Gespräche eingeräumt werden und die Pädagoginnen und Pädagogen mit ausreichender Offenheit den Beiträgen und Fragen gegenüberstehen. Um die Motivation auf
Kindebene weiter zu stützen, ist es hilfreich, das eigene Forscherinnen- und Forscherinteresse zu zeigen. Dies muss sich nicht nur auf die Fragestellungen der Kinder fokussieren. Ebenso spannend
ist es, zu beobachten, wie Kinder sich den verschiedenen Themen nähern, welche kognitiven Höchstleistungen unternommen werden, um zu einer Lösung zu kommen und welche (sprachlichen) Strategien
sie nutzen, um andere an ihren Gedanken teilhaben zu lassen.
Zu einer sprachfreundlichen Umgebung gehört, die Gesprächsanlässe wahrzunehmen bzw. geeignete Anlässe zu schaffen. Wenn uns dies gelingt, steht spannenden und herausfordernden Gesprächen wenig im
Weg. Dabei beschränken sich diese Dialoge nicht nur darauf, dass die Fachkraft mit einem Kind spricht, sondern viele Kinder auf die gedankliche Reise mitzunehmen.
Wie funktioniert das gemeinsame Philosophieren?
Am Anfang der Methode steht die philosophische Frage. Die Frage sollte im Bestfall von den Kindern kommen und für sie von Bedeutung sein. Nicht jede Frage eignet
sich für diese Methode, aber viele können so umformuliert werden, dass ein gemeinsames Nachdenken darüber Sinn und Spaß macht. Beispielhaft sei hier die Frage „Wo ist denn Deine Hose?“ genannt.
Diese Frage ist weder philosophisch noch interessiert die Antwort unbedingt beide Gesprächspartner/-innen. Formulieren wir aber „Warum haben Hunde eigentlich keine Hosen?“ „Wer darf alles Hosen
anziehen?“ „Kann man immer Hosen tragen?“, fordern wir kindliche Sprache heraus.
Fragen können sich natürlich auch aus Beobachtungen, Äußerungen, Bilderbüchern oder Alltagssituationen ergeben. Hier bedarf es einer guten Beobachtungsgabe, um die Redeanlässe der Kinder
wahrzunehmen und sie aufzugreifen. Manchmal müssen Fragen umformuliert werden, damit mehr bzw. alle Kinder an den gemeinsamen Gedankenspielen teilhaben können, und hier ist unser pädagogisches
Geschick ebenso gefragt wie beim Akzeptieren, dass nicht jede philosophische Frage für jedes Kind gleich spannend ist.
Grundsätzlich sollten alle Kinder, die teilnehmen wollen, in die Methode einbezogen werden. Kinder, die noch am Anfang der Sprachentwicklung stehen, profitieren genauso wie Kinder, die
mehrsprachig aufwachsen oder schon sehr weit sind. Kinder brauchen Kinder für die Entwicklung ihrer Sprache. Das Dabeisitzen und Zuhören ist eine wichtige Möglichkeit der Teilhabe und das
geleitete Gespräch mit den Peers bietet einen hohen Motivationsschub. Antworten und Gedanken müssen zudem nicht immer sprachlich geäußert werden. Insbesondere für jüngere Kinder sollte eine
kreative bzw. künstlerische Alternative zum Ausdruck ermöglicht werden.
Nachdem den Kindern ausreichend Zeit gegeben wurde, über die Frage nachzudenken, Antworten zu geben und/oder mit anderen darüber zu sprechen, heißt es, das Gespräch mit weiteren Fragen in die
Tiefe zu führen. „Gilt das immer?“ „Was wäre nun aber, wenn …?“ „Glaubst Du/glaubt ihr, alle …?“ In gleichem Umfang können sprachliche Fähigkeiten erweitert werden. „Wie könnte man das noch
beschreiben?“ „Kannst Du es auch so erklären, dass …?“ Kinder werden hier aufgefordert, über ihre verwendete Sprache nachzudenken, und sie gegebenenfalls so anzupassen, dass sie von allen
Teilnehmenden verstanden werden kann.
Am Ende einer solchen Gesprächsrunde kommt der Moderatorin/dem Moderator die Aufgabe zu, die Aussagen und Meinungen zusammenzufassen und ein (vorläufiges) Ergebnis oder einen (vorläufigen)
Gesprächsstand zu geben. Am Ende steht nicht die „richtige“ Antwort im Vordergrund, sondern der dialogische Prozess. Das mag für uns als Erwachsene, die wir viele Lösungen für Kinderfragen schon
kennen, herausfordernd scheinen, ist aber ein äußerst wichtiger Bestandteil der Methode. Die Fragen und Gespräche können bei Bedarf zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal aufgegriffen und
vertieft werden.
Zusätzliche Tipps zum Philosophieren mit Kindern
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Machen Sie vor dem ersten Einsatz die Methode transparent für die Familien. Erklären Sie, dass die Gespräche über eine Frage und nicht die Lösungen wichtig
sind.
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Gestalten Sie das Philosophieren mit Kindern als Ritual. Es braucht einen angemessenen Raum (zeitlich und örtlich), eine angemessene Hinführung und einen
würdigen Abschluss.
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Halten Sie sich mit eigenen Meinungen und Gedanken zurück. Bleiben Sie, so gut es möglich ist, in einer moderierenden Rolle.
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Achten Sie auf die Einhaltung der vorher gemeinsam vereinbarten Gesprächsregeln, hierbei können z. B. Redesteine helfen.
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Geben Sie den Kindern im Anschluss an das Philosophieren etwas Zeit, um sich in Ruhe für sich selbst oder wenigen anderen Kindern zu beschäftigen. Gemeinsam
nachdenken ist Hochleistungssport und sollte nicht gleich vor der nächsten Aktivität stattfinden.
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Richten Sie einen Philosophie-Briefkasten ein, in dem die Fragen der Kinder gesammelt werden können, um dann bei der nächsten Gesprächsrunde eine Frage zum
Nachdenken auszuwählen.
Unterstützung für die Praxis
Als kleine Praxishilfe haben wir ein illustriertes Kartenset zum Philosophieren mit Kindern entwickelt. Hier finden sich verschiedene philosophische Fragen und
„Vertiefungsfragen“ zur Unterstützung, die die Gespräche weiter führen.
Dieses können Sie hier bestellen.
Sollten Sie Interesse an einem Workshop zum Philosophieren mit Kindern haben, bietet das LakoS im Rahmen seiner Fortbildungen sowohl online als auch in Präsenz diese spannende Methode für Sie an.
Weitere Informationen finden Sie hier.
Briedigkeit, E. (2011). Institutionelle Überformung sprachlicher Herkunftsmuster. Realisation von Fragetypen im
Erzieherin-Kind(er)-Diskurs. Empirische Pädagogik, Bd. 4, 499 ff.
Wirts, C., Wertfein, M., & Wildgruber, A. (2017). Unterstützung kindlicher Kompetenzentwicklung und ihre Bedingungen in Kindertageseinrichtungen. In Interaktionen in Kindertageseinrichtungen
(S. 59-72). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.